Die Bundes­präsidenten­wahl 2017: die Insze­nierung einer demokratischen Wahl

Frank-Walter Seinmeier, zum Bundespräsident gewählt

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.

Foto: Kremlin.ru. Quelle: Wikimedia commons. Lizenz: CC BY 4.0

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Am 12. Februar 2017 wählten die 1260 Mitglieder der Bundesversammlung den neuen Bundespräsidenten. Von der Regierung und von den Medien wird der Eindruck erweckt, dass die Bundespräsidentenwahl demokratisch sei.

Leider ist die Bundespräsidentenwahl weder Ausdruck einer starken Demokratie noch ist sie in Wirklichkeit eine Wahl. Beim Wort „Wahl“ geht man davon aus, dass es tatsächlich eine Entscheidung zwischen mehreren Kandidaten gibt. Auf dem Papier gibt es zwar fünf Kandidaten – faktisch wurde aber der Gewinner im Voraus von Union und SPD bestimmt.

Zusammensetzung der Bundesversammlung, die nichts mit der Bundestagswahl zu tun hat.

Bei der Bundespräsidentenwahl 2017 haben sich die Parteien der großen Koalition auf einen gemeinsamen Kandidaten geeinigt. Es handelt sich um eine Abmachung zwischen Parteien, deren Mitglieder 73,3 Prozent der Bundesversammlung repräsentieren. Eine Wahl, in der über den Gewinner im Voraus entschieden wird, ist die Inszenierung einer Wahl.

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Die Bundespräsidentenwahl ist antidemokratisch

Das Wort „Demokratie“ steht bekanntlich für „Herrschaft des Volkes“. So steht es auch im Artikel 20 des Grundgesetzes:

„Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.“

In einer demokratischen Wahl will das Volk seine Macht ausüben und seine Repräsentanten wählen. Bei der Bundestagswahl könnte man Artikel 20 umformulieren und statt „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen […] ausgeübt“ folgende realitätsnähere Formulierung wählen:

„Alle Staatsgewalt geht von Parteien, Abgeordneten, Repräsentanten von Repräsentanten und Prominenten aus. Sie wird von einer Oligarchie in Pseudowahlen ausgeübt.“

Die Bundesversammlung ist nicht repräsentativ

Wenn bei der Bundespräsidentenwahl die Gewalt vom Volke ausgeht, dann nur über vier Ecken. Die eine Hälfte der Bundesversammlung besteht aus von den Landtagen gewählten Wahlmännern und -frauen. Diese Hälfte der Staatsgewalt geht also von Vertretern von Vertretern des Volkes aus.

Die andere Hälfte der Bundesversammlung besteht aus Bundestagsabgeordneten, die zumindest direkt vom Volk gewählt worden sind. Kritisch betrachtet wurden diese allerdings nur von circa 60 Prozent der Wahlberechtigten gewählt – Minderheitsmeinungen scheiden wegen der Fünf-Prozent-Hürde sowieso aus.

Dass der Bundestag für das deutsche Volk nicht repräsentativ ist, ist wohlbekannt – oder besteht die deutsche Bevölkerung nur zu 36 Prozent aus Frauen, 90 Prozent Akademikern und vielleicht vereinzelt aus Handwerkern oder Landwirten?

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Die Bundespräsidentenwahl ist oligarchisch, nicht demokratisch

Das Wort Oligarchie, die „Herrschaft von Wenigen“, beschreibt die Ausübung der politischen Herrschaft durch eine kleine Gruppe. Die Mitglieder der Bundesversammlung bilden faktisch eine kleine Gruppe, die bei Weitem kein Abbild der deutschen Bevölkerung ist. Sie repräsentieren das Volk weder durch ihr Geschlecht, Alter, Einkommen noch durch ihren Beruf. Die meisten bewegen sich schon lange in volksfernen Sphären und stehen Lobbys, Banken und Industrien näher als dem Volk.

Warum die Bundespräsidentenwahl antidemokratisch ist

Die Wahl des Bundespräsidenten wird im Artikel 54 des Grundgesetzes[1. Bundeszentrale für politische Bildung: Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Der Bundespräsident (Art. 54-61)] beschrieben. Das Grundgesetz wurde 1949 vom Parlamentarischen Rat verabschiedet und wird als unantastbares demokratisches Fundament der Demokratie angesehen.

In Wirklichkeit bestand der Parlamentarische Rat, der das Grundgesetz beschloss, aus einer ähnlich unrepräsentativen Zusammensetzung wie die Bundesversammlung heute. Die Mitglieder des Parlamentarischen Rates waren Vertreter von Vertretern des Volkes, professionelle Politiker. Unter den 70 Mitgliedern waren nur vier Frauen (5,7 Prozent).[2. Wikipedia: Parlamentarischer Rat]

Für die Geschichte fast wichtiger: 82,9 Prozent der Mitglieder des Parlamentarischen Rates waren Mitglieder der CDU/CSU und der SPD. Man kann ohne Zweifel sagen, dass das Grundgesetz 1949 von den Großparteien geschrieben worden ist: Gegen das Grundgesetz stimmten alle Mitglieder der Kleinparteien sowie sechs der acht CSU-Abgeordneten.[3. Ibid.]

CDU/CSU, SPD und Liberalen schrieben die Verfassung (das Grundgesetz) für sich selbst.[ultimatesocial networks=“facebook,whatsapp,twitter,google“ custom_class=“ultimate-social-jo“ count=“false“]

Was passiert, wenn man Politiker damit beauftragt, Gesetze für sich selbst zu schreiben, ist offensichtlich: Sie schreiben Gesetze, die förderlich für den Erhalt ihrer Macht und der Macht ihrer Parteien sind. Das Grundgesetz wurde von den etablierten Parteien von damals (den gleichen wie heute: CDU/CSU, SPD und FDP) geschrieben, um ihre Macht zu sichern.

Fazit: Die Bundespräsidentenwahl 2017 ist die Inszenierung einer demokratischen Wahl

Bei der Bundespräsidentenwahl 2017 hatte die große Koalition allein für sich entschieden, wer Bundespräsident werden sollte, und zwar schon lange im Voraus. Die tatsächliche Wahl war nur noch eine Inszenierung, die den Anschein eines demokratischen Prozesses erweckte.

In Wirklichkeit handelte es sich um eine Scheinwahl, in der andere Kandidaten als der Kandidat der Regierung nicht den Hauch einer Chance hatten.

Die Ursache dafür ist, dass das Grundgesetz nicht vom Volk für das Volk geschrieben worden ist. So waren vielmehr professionelle Politiker der Großparteien am Werk, die sich auf diese Weise den Erhalt ihrer Macht und der ihrer Partei für die Zukunft sicherten.

 

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Deutschland: eine Demokratie ohne das Volk?

In diesem Artikel werden drei Beispiele genannt, die Zweifel wecken, ob in unserer „Demokratie“ tatsächlich Macht und Regierung vom Volk ausgehen und ob die Volkssouveränität gewährleistet ist, wie es in einer Demokratie per Definition der Fall sein sollte.

Ist Deutschland noch eine Demokratie?

Ist Deutschland eine Demokratie?
Bild: Das Hephaisteion auf der Agora in Athen, erbaut im 5. Jahrhunderts v. Chr., in der Blütezeit der athenischen Demokratie. Quelle: Martin Fuchs auf Pixbay, Lizenz: CC0.

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Eine Demokratie, aber kaum Direktwahlen?

Die Bundestagswahlen sind auf Bundesebene die einzigen Wahlen der Bundesrepublik, in denen ein Staatsorgan (auch Verfassungsorgan genannt) direkt vom Volk gewählt wird. Folgende Organe werden nicht von den Bürgern direkt gewählt:

  • der Bundesrat (die zweite Kammer des Parlaments), bestehend aus Mitgliedern der Regierungen der Bundesländer, die sie bestellen und abberufen; er wird sehr indirekt, hier sogar „um zwei Ecken“ von den Bürgern gewählt
  • die Bundesregierung
  • das Bundesverfassungsgericht
  • der Gemeinsame Ausschuss
  • der Bundespräsident sowie die Bundesversammlung, die ihn wählt

In Deutschland wird auf Bundesebene nur die Hälfte des Parlaments (bestehend aus Bundestag und Bundesrat), also der Legislativen (gesetzgebende Gewalt nach dem Prinzip der Gewaltenteilung), direkt vom Volk gewählt. Die meisten Staatsorgane sind nicht direkt Vertreter des Volkes.

Mehr Information über die Aufgaben des Bundestags erfahren Sie in diesem Artikel:
Bundestag für Anfänger

Lobbykratie statt Demokratie

Unsere Regierung ist regelrecht durchseucht von Lobbys, rund 5.000[1. Deutschlandfunk.de, Lobbyismus in Brüssel und Berlin – Leise Geschäfte an lauten Orten] Lobbyisten soll es allein in Berlin geben. Das sind rund acht Lobbyisten pro Bundestagsabgeordneter. Noch schlimmer ist es auf der europäischen Ebene: In Brüssel allein gibt es 15.000[2. Spiegel Online, Wirtschaft,  Lobbyismus in Brüssel: Im Spinnennetz] bis 30.000[3. Frankfurter Rundschau, Wirtschaft, So manipulieren Lobbyisten die Gesetze] Lobbyisten, das sind im Durchschnitt 20 bis 40 Lobbyisten pro EU-Abgeordneter.

Demokratie: Im Namen der Wirtschaft

Quelle: Ausschnitt des Bildes Nr. 7 von geldoderleben auf Flicker, Lizenz: CC BY-SA 2.0

Lobbyismus gefährdet die Demokratie, indem er wirtschaftliche Interessen vor die Interessen des Volkes stellt. Hier einige der gefährlichsten Seiten des Lobbyismus:

  • Die Grenze zwischen Vertretern des Volkes und der Wirtschaft ist unscharf. So wechseln Regierungsmitglieder gerne zur Industrie und zeigen damit, dass es reizvoller sein kann, die Interessen der Wirtschaft zu vertreten, als die des Volkes. Die „Lobby Control“-Initiative führt ein Register der sogenannten Seitenwechsler. Auf EU-Ebene gibt es ebenfalls einen fliegenden Wechsel, auch Drehtür-Effekt genannt: So wechseln manche der 7.000 Beschäftigten der EU-Kommission in die Wirtschaft beziehungsweise in die Lobbybranche – und umgekehrt.
  • Auf Bundes- wie auf EU-Ebene werden weite Teile der Gesetze von Lobbyorganisationen geschrieben anstatt von Abgeordneten und ihren Mitarbeitern. Anschließend werden Gesetzvorschläge der Lobbyisten oft von den Parlamenten wörtlich übernommen.[4. Tagesschau.de, Wenn Lobbyisten das halbe Gesetz schreiben],[5. Spiegel Online: Europäischer Datenschutz: So groß ist der Einfluss von Lobbyisten] Das bedeutet: Unsere Gesetze werden zu einem erheblichen Teil nicht von Volksvertretern geschrieben, sondern von Vertretern der Wirtschaft.
  • In Deutschland ist Lobbyismus intransparent: Ein Lobbyregister, wie etwa in den USA, gibt es nicht. So bleibt der besorgniserregende Einfluss der Lobbys auf unsere Regierung gut versteckt. Inwieweit das Verschleiern eines großen Teils des Gesetzgebungsprozesses mit Demokratie vereinbar ist, sei dahingestellt.

Ein undurchschaubares Wahlsystem

Eine Demokratie sollte ein verständliches Wahlsystem haben. Dies ist in Deutschland nicht der Fall. Als Beispiel: In einer Umfrage des Forsa-Instituts für den „Stern“[1. Das Forsa-Institut befragte am 15. und 16. August 2013 für den Stern 1006 zufällig ausgesuchte Bundesbürger. Quelle: stern.de, Müder Wahlkampf, ahnungslose Wähler] wussten nur 42 Prozent der Befragten, dass die Zweitstimme für den Ausgang der Bundestagswahl wichtiger ist als die Erststimme.

Wie viel Prozent der Wähler wissen, dass Abgeordnete über Wahlkreise oder Landeslisten in den Bundestag gelangen können und worin der Unterschied genau besteht? Wie Überhangmandate und Ausgleichsmandate entstehen und warum keiner vorhersagen kann, wie viele Bundestagsabgeordnete es bei der Wahl zum Bundestag geben wird?

Ein einfaches, verständliches Wahlsystem sollte ein Bestandteil einer Demokratie sein. Dies ist bei unserer Herrschaftsform nicht gegeben.

Über die Bundestagswahl 2017 mehr erfahren

Wie bei der Bundestagswahl gewählt wird, was der Unterschied zwischen Erst- und Zweitstimme ist und was bzw. wen man mit jeder Stimme wählt, wird von der Bundeszentrale für politische Bildung in folgenden Videos erklärt:

Erst- und Zweitstimme: Wie funktioniert die Bundestagswahl?
Was sind Überhang- und Ausgleichsmandate und wie entstehen sie?

 

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Ungültige Stimmen (Leerstimmen) bei Bundestagswahlen

Seit der Wiedervereinigung liegt die Anzahl der ungültigen Zweitstimmen bei Bundestagswahlen zwischen 540 000 und 756 000. Als Schätzung der Anzahl von ungültigen Stimmen bei der Bundestagswahl 2017 wird willkürlich der Durchschnitt der letzten 4 Bundestagswahlen berechnet: 640 000. In Ermangelung einer echten Schätzung oder Prognose wird dieser Wert für Diagramme auf dieser Website angewendet.

Nicht-Anerkennung von ungültige Stimmen (Leerstimmen)

Leere Wahlzettel gelten nach dem Bundeswahlgesetz als ungültig[1. Bundeswahlgesetz:
§ 39 Ungültige Stimmen, Zurückweisung von Wahlbriefen, Auslegungsregeln]. In einigen Ländern gelten Leerstimmen als wichtiges Wahlkonzept, als Ausdrucksmöglichkeit der Wähler: Diese Wahlzettel werden gezählt und nicht sofort für ungültig erklärt. In diesen Ländern sind leere Stimmzettel eine Wahloption, die es den Wählern ermöglicht, ihre Ablehnung aller Kandidaten oder aller Parteien zum Ausdruck zu bringen.

NOTA steht für None of the above, eine Bezeichnung für leere Stimmzettel. Bei deutsche Bundestagswahlen gibt es diese Option nicht.

Das NOTA-Logo ist ein Ausdruck der politischen Unzufriedenheit, der Enthaltung oder Nichtübereinstimmung mit der Politik der Parteien oder Kandidaten

Im englischsprachigen Raum werden leere Wahlzettel als NOTA bezeichnet: „None Of The Above“ für „Keine der oben genannten“[2. Wikipedia: None of the Above (auf Englisch)]. In Frankreich ist der „vote blanc“ ein oft erwähntes Element der politischen Debatte, in Spanien ist der „voto en blanco“ im Wahlgesetz verankert. Indien, die größte sogenannte Demokratie mit mehr als 1 250 Milionen Einwohnern, davon 814,5 Millionen Wahlberechtigte, zählt Leerstimmen (NOTA) als Wahloption. Bei der letzten Wahl gab es allerdings nur 1,1 Prozent NOTA-Stimmen, etwa 6 Millionen Wähler[3. The Hindu: Over 60 lakh (6 Millions) NOTA votes polled].

Bei Wahlen in Deutschland gibt es keine NOTA-Option, also keine Möglichkeit, seine politische Unzufriedenheit über die Parteien und Kandidaten auszudrücken. Es gibt zahlreiche Gründe[6. Siehe Fußnote 1] für die Ungültigkeit der Wahlzettel, und da die Anzahl der leeren Wahlzettel nicht ermittelt wird, ist eine Schätzung der aus Protest absichtlich abgegebenen leeren Stimmen nicht möglich.

Die Partei der Nichtwähler

Die offizielle Partei der Nichtwähler (oder Nichtwählerpartei) sieht sich als eine Alternative zur Stimmenthaltung. Sie kann als eine NOTA-ähnliche Alternative gesehen werden. Sie wurde zur Bundestagswahl 2013 zugelassen, erreichte aber nur 11 349 Stimmen.

Offizielle Website der Partei der Nichtwähler
Partei der Nichtwähler auf Wikipedia
 

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